Die Vision der Diözese St. Pölten “ICH BIN.MIT DIR”

Eine Gruppe der pensionierten PastoralassistentInnen der Diözese St. Pölten hat sich mit dieser Vision auseinandergesetzt. Karl Immervoll hat dazu folgenden Text verfasst.

Die Diözese St. Pölten hat ein Schreiben mit dem Titel: „Zur Vision der Diözese St. Pölten“ herausgegeben. Doch es stellt sich die Frage, was ist denn das Bild, wie die Diözese aussehen will?
Es gibt wenig Konkretes. Das Zitat aus dem Dekret über das Apostolat der Laien (Apostolicam actuositatem) bezieht sich auf die Liturgie, wo die Laien den Dienst des Priesters ergänzen, von der eigenen Verantwortung der Laien (AA 20) ist allerdings  nicht die Rede. Auch die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt dieser Zeit (Gaudium et spes) bleibt unerwähnt. So stellt sich die Frage, wie sich die Kirche der Diözese auf die gegenwärtigen Nöte ausrichtet. Passiert dies nur in Verbundenheit und Schönheit? Was ist mit Fragen der Gerechtigkeit? Wo findet Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Kräften außerhalb von Kunst und Kultur statt?

Die Vision der Diözese St. Pölten einige persönliche Bemerkungen

Da liegt sie vor mir, eine Zusammenfassung zur Vision. Visionen sprechen mich an, ich war ja immer offen für Ideen, die über bestehendes hinausgehen, sind sie doch die Kraft aus der Veränderung möglich ist. Hier aber frage ich mich, ob es nicht wieder eher rückwärts gewandt ist, außerdem wer es geschrieben hat, wer Adressat ist? Die theologische Sprache ist nicht allgemein verständlich. Ich suche im Text nach Personen, finde nur den Bischof oder den Priester, sonst nur kollektive Begriffe wie: Diözese, das Volk Gottes, Familien, christliche Gemeinschaft, … Viele suchen heute nach ihrem Platz in der Kirche und fragen sich wohl auch, wo bin ich in diesem Schreiben? Ich gehöre doch zu dieser Diözese? Gehör habe ich – und auch andere – trotz mehrmaliger Äußerung zum sogenannten synodalen Prozess nicht wirklich gefunden. Und so fehlt mir das Wort HÖREN auch in dieser Vision. Es kommt nur einmal im „Hören auf die Stimme des Heiligen Geistes“ vor. Aber nicht die Nöte der Menschen betreffend.  Wohl wird liebend hingeschaut. Aber das kann auch aus der Entfernung passieren. Schauen allein erlaubt noch kein Feststellen von Prioritäten. ICH BIN. MIT DIR ist das neue Motto der Diözese. Aber hat Gott, als er diesen seinen Namen offenbarte, damals nicht gesagt: „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und ihre laute Klage habe ich gehört.“ (Ex 3,7)? Gott hat gesehen UND gehört. Hören ist eine besondere Aktivität. Sie heißt den Menschen gegenüber zunächst einmal willkommen, bedeutet den Anderen und die Andere wahrnehmen. Hören erfordert auch Nähe, sonst wird jemand leicht über-hört. Wer hört, zu-hört, wird berührt. Das Gehört-Werden ist ein Geschenk. Es verhilft zum Sprechen und befreit ein Stück aus der bedrückenden Lage. Gemeinschaft wird möglich. Es setzt das Schweigen des Zuhörers oder der Zuhörerin voraus, einen Zuspruch, der ohne Urteil ist, weil es sonst zum Vor-Urteil wird. Gewissermaßen ist es ein Leerwerden, das der Person gegenüber Raum gibt. Das ist ein höchst aktiver Akt, in dem die Sorge des Zuhörens ganz und gar dem Anderen gilt. So frage ich mich, was mit Mission gemeint ist?

Zum Geleit des Schreibens wird Papst Franziskus zitiert: „Die Reform der Strukturen, die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden, dass die gewöhnliche Seelsorge in allen Bereichen expansiver und offener ist, dass sie die in der Seelsorge Tätigen in eine ständige Haltung des „Aufbruchs“ versetzt und so die positive Antwort all derer begünstigt, denen Jesus seine Freundschaft anbietet.“ (EG 27) Das Kapitel, dem dies entnommen ist, hat die Überschrift: Seelsorge in Neuausrichtung. Das ist die deutsche Übersetzung. Im spanischen Original steht conversión und dies Bedeutet Umkehr. Es geht also nicht einfach um eine Neuausrichtung einer europäischen Pastoral, sondern um einen Umkehrprozess, den der Papst aus Lateinamerika uns gerade hier in Europa, in unserer Komfortzone, verordnet. Einige Absätze weiter schreibt er: „Brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten! Ich wiederhole  hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und Laien von Buenos Aires gesagt habe: Mir ist eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“ Franziskus zeigt selbst, indem er zu den Rändern hingeht, was das bedeutet: Wer die Klage der Menschen hört, kann nicht so weitertun wie bisher. Und dann kommt des Papstes NEIN zu einer Wirtschaft, die ausschließt, Nein zur einer Vergötterung des Geldes, NEIN zur sozialen Ungleichheit, NEIN zu einer egoistischen Trägheit, NEIN zu einer spirituellen Weltlichkeit, aber einem JA zu den neuen, von Jesus Christus gebildeten Beziehungen. Und Christus ist immer schon vor uns dort. Wir brauchen ihn nicht hinzubringen. Die große Versuchung besteht allerdings darin, ihn dort allein zu lassen, weil wir nicht hinausgehen. Denn „Im Herzen Gottes gibt es einen so bevorzugten Platz für die Armen, dass er selbst arm wurde (2 Kor 8,9). Der ganze Weg unserer Erlösung ist von den Armen geprägt.“(EG 197)

Gerade an dieser Stelle wird die Vision schwammig: Eine klerikale Kirche, die sich in frommen Worten erschöpft. Das, was Franziskus mit der sozialen Dimension der Evangelisierung meint, kommt nicht mehr vor. Damit ist die Kirche weit weg von den Menschen auf der Straße. So könnte gesagt werden: „Keine Sorge, die Hose bleibt ganz und die Knie werden nicht schmutzig!“