In diesen Tagen der Erinnerung an die Erniedrigung jüdischer Bewohner und Bewohnerinnen sowie große Zerstörungen jüdischen Eigentums ist es gut, sich auch an Entwicklungen in der Katholischen Kirche Österreichs, vor allem in unserer Diözese St. Pölten – gerade nach Abschluss der weltweiten Bischofssynode zur Synodalität der Kirche – zu erinnern. Karl Immervoll erzählt die Erinnerungen der Katholischen Arbeiterjugend. Es ist nur ein Bereich. Ich denke, es geht wahrscheinlich vielen engagierten Frauen und Männern so. In der Katholischen Aktion, aber auch in den Pfarren (Auflösung der Pfarre Krems-Lerchenfeld) und anderen Bereichen der Kirche wie zuletzt dem Katholischen Bildungswerk. Vielleicht folgen einige dem Beispiel von Karl Immervoll und schreiben auf und erzählen. Wir erfahren Neues und lernen vielleicht aus der (Kirchen-)Geschichte und können es als wertvolle Ressource für die Zukunft der Kirche verwenden.
Schreib deine Geschichte mit der KAJ, wurde mir gesagt. Aber wie kann ich schreiben über längst Vergangenes ohne in Melancholie zu verfallen über all das Schöne, das ich erlebt habe, oder in die Traurigkeit über die Konflikte mit der kirchlichen Hierarchie? Aber meine Gesprächspartnerin sagt nochmals: Schreib!
Es war in Mariazell. Die Katholische Arbeiter:innenjugend (KAJ) hatte ihren Solidaritätsmarsch. Aus verschiedenen Richtungen gingen Jugendliche die ganze Nacht über hin zur Basilika, mehr als 30 km. Nun saßen sie beim Frühstück und Ehemalige, also „Alt KALer:innen“ kamen dazu. Da es die KAJ schon lange nicht mehr gibt, kann erraten werden, dass es wohl schon einige Jahre her ist. Aber das tut nichts zur Sache. Die Frage, die die Jungen den Alten stellten, ist noch immer aktuell: Was hat euch in der KAJ zu eurer Zeit Halt gegeben? Natürlich wurde da vieles genannt, aber ein Satz kam fast bei jeder Antwort: „Du junge Arbeiterin, du junger Arbeiter bist mehr wert als alles Gold der Erde!“ Joseph Cardijn, der Gründer der CAJ, hatte ihnen diese Zusage, diese Verheißung immer wieder gesagt. Sie stärkte das Bewusstsein und gab Kraft – und wirkt bis heute!
Die KAJ hat auch mein Leben geprägt. Großtreffen mit Tausenden Jugendlichen sind mir in Erinnerung. Wir haben uns engagiert, zusammen gebetet, gefeiert und geweint. Manchmal waren wir zornig und kämpferisch. Wir scheuten nicht lange Wegstrecken auf uns zu nehmen, um bei Aktionen dabei zu sein oder jemanden zur Seite zu stehen. Und wir haben ein Glaubensbuch verfasst: „Wählt das Leben“ – ein Zitat aus dem Buch Deuteronomium (30,19).
Aber wir waren kritisch, unbequem, auch für die Kirchenleitung. War es zu Lebzeiten Cardijns für viele Priester selbstverständlich bei der KAJ zu sein, änderte sich das nach seinem Tod. Den Konflikt mit Bischof Rusch beim Treffen 1970 kenne ich nur aus Erzählungen, aber die Personal-Kürzungen ab den 70ern quer durch die Diözesen habe ich schon miterlebt. Das war nicht, weil es weniger Jugendliche gab, sondern galt teilweise auch als Abstrafung für “Aufsässigkeit”. Besonders schmerzhaft war die Aufkündigung der Finanzierung des Betriebsseminars, unseres Bildungshauses in Linz, seitens der Bischofskonferenz. Eigenfinanzierungen haben wir nie lange durchgehalten.
Immer wieder der Vorwurf, wir seien zu links, oder die Frage: Wozu braucht es eine KAJ, wir sind doch eine Katholische Jugend. Sind wir? Die Arbeitswelt und die Situation der Jugendlichen dort sind der Kirche nicht wirklich ein Anliegen. Im Konflikt um die Spaltung der Internationalen CAJ im Jahr 1983 sagte mir der damalige Jugendbischof – ich war Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Jugend: „Wegen der KAJ lege ich mich nicht mit Rom an.“
Ja, ich schreibe darüber, denn die KAJ war eine gute Schule fürs Leben, viele ihrer Leute kamen in wichtige Positionen, in Arbeiterkammer, Gewerkschaft, in Betrieben, sozialen Initiativen bis hin zu Ministerien und in europäischen Funktionen. Nur die Kirche in Österreich wollte sie nicht, nicht so, wie sie waren. Die KAJ gibt es nicht mehr, aber mitunter gibt es noch den Geist Cardijns. „Du junge Arbeiterin, du junger Arbeiter bist mehr wert als alles Gold dieser Erde!“ – und damit Hoffnung, weil in der Kirche Österreichs auch Menschen sind, die sich in diesem Geist engagieren, zum Beispiel bei handson oder ju-can. „Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen.“
Karl A. Immervoll
P.S.: Wir freuen uns, dass handson den Papst-Leo-Preis 2023 erhält und gratulieren herzlich.
Nähere Informationen:
https://www.erzdioezese-wien.at/unit/handson/home
https://www.dioezese-linz.at/ju-can