Ferdinand Klostermann (1907-1982)

Erinnerungen an einen großen österreichischen Theologen.

Karl Immervoll erinnert sich an seinen Lehrer an der Universität Wien zu dessen 40. Todestag am 22. Dezember. Es ist wichtig, ja sogar notwendig, wenn Theologen und Theologinnen auch heute auf die Situation der Kirche hinweisen wie ihre großen Lehrer und Lehrerinnen zuvor. Ja, im Kirchenrecht wird ihnen das Recht und sogar die Pflicht dazu gegeben.

Laut CIC can. 212 §3 haben Gläubige – dazu zähle ich mich –
“entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen … “

„Er war der bedeutendste österreichische Theologe des 20. Jahrhunderts.“
(Erika Weinzierl, Historikerin)
„Ferdinand Klostermann war für mich einer der ungewöhnlichsten Menschen, denen ich begegnen durfte.“ (Emerich Tálos, Politologe)
„Ferdinand war Professor mit Leib und Seele. Das Wort ist bekanntlich mit Prophet verwandt (profieri = öffentlich bekennen, offen aussprechen), nicht mit Profit und bequemer Anpassung.“
(Alfred Kirchmayr, Theologe und Psychotherapeut)

Es war meine erste Begegnung mit  Ferdinand Klostermann außerhalb der Vorlesungen: Ich saß ihm bei einer Prüfung gegenüber. Als Lektüre hatte ich zuvor „Christ Sein“ von Hans Küng erhalten, also von jenem Theologen, der später Lehrverbot bekam.  Klostermann fragte mich, wie es mir denn beim Lesen dieses Buches ergangen sei?

Am 22. Dezember 2022 vor 40 Jahren ist Ferdinand Klostermann gestorben. Er war Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien, aber auch Mitarbeiter in den bedeutenden Internationalen theologischen Zeitschriften Concilium und Diakonia. Aber vor allem war er Konzilstheologe (wie auch Hans Küng). Gemeinsam mit Karl Rahner begleitete Klostermann Kardinal König nach Rom. Das II. Vatikanische Konzil war es auch, von dem er geprägt war. Aber nicht nur: Sein Vater war Eisenbahner, seine Mutter Fabrikarbeiterin. Er war den einfachen Menschen verpflichtet und ein kritischer Geist gegenüber der Obrigkeit. So kam er 1942 für fast ein Jahr in eine Gestapohaft im Polizeigefängnis Linz und wurde dann bis 1945 nach Berlin „gauverwiesen“. Alfred Kirchmayr, sein Schüler und Freund, erzählte, dass anlässlich seiner Emeritierung 1977 der damalige Dekan Walter Kornfeld bei der Verabschiedung im Fakultätskollegium sagte: „Du, Ferdinand, warst immer der Hecht im Karpfenteich dieser Fakultät.“ Das bekam er in Form von Widerstand und Ablehnung mitunter schmerzlich zu spüren. Klostermann ermutigte uns Student:innen gegen Entmündigung und Verdummung aufzutreten. Überzogenen Gehorsam lehnte er vollkommen ab.
Ferdinand Klostermann wurde am 21. März 1907 in Steindorf bei Straßwalchen geboren, studierte Theologie in Linz und promovierte an der Universität Graz. Er war Kaplan an mehreren Stellen in der Diözese Linz. 1960 wurde er zum Mitglied der päpstlichen Kommission für Laienapostolat zur Vorbereitung des II. Vatikanum ernannt. Der Pastoraltheologe Michael Pfliegler, Sohn eines niederösterreichischen Maurers und engagiert für die Arbeiterbewegung, wollte ihn als seinen Nachfolger an der Universität Wien. So habilitierte sich Klostermann und bekam auch tatsächlich diese Stelle.

Bei der Prüfung im Frühjahr 1976 bekam ich also die Frage: „Wie ist es Ihnen beim Lesen des Buches ergangen?“ Er fragte nicht, was ich vom Buch halte. Nein! Klostermanns Frage war nach meinem Empfinden während der Lektüre.

Mit ihm konnte leidenschaftlich diskutiert werden. Er liebte die Auseinandersetzung und den Widerspruch. Christsein war für ihn Programm der Veränderung zu einer allseitigen Befreiung des Menschen. Ihm ging es darum „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ der Menschen zu spüren, vor allem „der Armen und Bedrängten aller Art“ (Gaudium et spes). Er wollte keine Antworten geben auf Fragen, die nicht gestellt werden. In einem Vortrag (bei der Katholischen Akademie Schwerte im Oktober 1979) stellte er einmal fest: „ An einer Theologie der Befreiung wird man wohl nicht vorbeikommen, wenn man die Botschaft Jesu an die Armen nicht verfälschen will. Das muss sich freilich in der Sprache der  Verkündigung wie in der menschlichen Form der Liturgie auswirken.  Das übliche Kirchen- und Theologenchinesisch hilft niemanden mehr.“ Deshalb war es ihm wichtig hineinzuhören in die Gesellschaft und in die Menschen. Das erfordert auch die Kenntnis der Strukturen und Gegebenheiten der Gemeinden. Für ihn galt der Traum von einer neuen Gesellschaft, eine Utopie,  das Reich Gottes. Daher betonte er auch die Wichtigkeit des eigenen Glaubens. Veränderungen müssen zuerst in den eigenen Reihen gelebt werden. Gleichzeitig betont er wie wichtig ein Maß an Selbstliebe und Selbstbewusstsein ist. Schließlich wurde er nicht müde die Bedeutung der Laien zu betonen und die Wichtigkeit demokratische Strukturen in dieser Kirche. Es braucht mündige Christen! Den Einheitsfimmel bezeichnet er als eine „typisch katholische Versuchung“. Christliche Einheit ist immer Einheit in Vielfalt.

Ferdinand  Klostermann machte gerne Wanderungen und schätzte die Geselligkeit. Er liebte moderne Literatur und Kunst. Denn dort kommen die Lebenserfahrungen und Probleme der Zeit zur Sprache. Schon zu seinen Lebzeiten hat er sich gegen rückläufige Tendenzen zum Konzil geäußert. Er war ein Mahner! Die Erinnerung an diesen großen Theologen täte uns gut.

Hans Küng schreibt im Vorwort seines doch fast 700 Seiten starken Werkes: „Dieses Buch ist geschrieben für alle, die sich, aus welchen Gründen auch immer, ehrlich und aufrichtig informieren wollen, um was es im Christentum, im Christsein eigentlich geht. Es ist geschrieben für solche, die nicht glauben, aber doch ernstlich fragen, die geglaubt haben, aber unzufrieden sind mit ihrem Unglauben, die glauben, aber sich in ihrem Glauben sehr verunsichert fühlen, die zwischen Glauben und Unglauben ratlos sind, … also geschrieben für Christen und Atheisten, Gnostiker und Agnostiker, … laue und eifrige Katholiken …“

Meine Antwort auf Klostermanns Frage, wie es mir ergangen sei war eine sehr verunsicherte. Ich gestand, dass da Vieles für mich schwer zu fassen war. Ich sehe heute noch sein Gesicht vor mir. Er lächelte und schwieg. Er wusste: In mir war ein Samen gestreut!

Nach der Rückkehr von einer Reise mit Norbert Greinacher aus Südamerika 1977 schrieb Ferdinand Klostermann:
Die wachsende Kirche von morgen weiß, dass man in einer Situation himmelschreienden Unrechts die Botschaft nicht glaubwürdig verkündigen kann, solange man diesem Unrecht gleichgültig gegenüber steht, solange man nicht das Wort und unter Umständen auch die Hand gegen dieses Unrecht erhebt und alles Mögliche zu seiner Beseitigung unternimmt. Sie baut auf einer „Theologie der Befreiung“ auf … Dagegen ist die traditionelle Kirche … streng hierarchisch und autoritär, institutionalistisch und traditionalistisch von der Vergangenheit bestimmt und auf sie ausgerichtet. (Zitat aus Diakonia 2/2003)