Wie der Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner – https://zulehner.wordpress.com/-2022/05/02/flache-hierarchie/ – und die Katholische Aktion Österreichs – www.kaoe.at – antwortet auch Karl Immervoll mit dem Titel “Vom Anders-Sein der/des Anderen (E. Levinas) und weil es nicht verloren gehen darf!” auf den Zukunftsprozess der Diözese St. Pölten
Datiert mit 21. April 2022 gibt es einen Entwurf für ein „Handbuch zum Diözesanen Zukunftsprozess“. Es scheint schon lange in der Schublade zu liegen, liest es sich teilweise wie ein Auszug zur Anleitungeines Beratungsprozesses, mit Überschriften und viel Interpretationsspielraum.
Einiges lässt sich doch herauslesen: Aufforderung zur Einhaltung des Dienstweges, erforderliche Zustimmung zu Veröffentlichung von Schrift- und Druckwerken, für mediale Auftritte, für die Bildung von Projektteams oder gar für Kontakte außerhalb der Diözese.
Theologisch ungenau und das Konzil fehlinterpretierend wird unterschieden zwischen dem (Laien-)Apostolat der Hierarchie und dem Apostolat der Laien (siehe Zulehner), um dann in weiterer Folge die Katholische Aktion ins Abseits zu stellen. Mit ihr und ihren Bewegungen soll es Leistungsvereinbarungen geben. Die kapitalistische Logik lässt grüßen. Die Ehrenamtlichen, jene also, die in der Katholischen Aktion die wichtigsten Personen sind, wurden gar nicht kontaktiert, sondern werden vor Tatsachen gestellt.
Natürlich ist es legitim die Frage des Erfolgs in der Pastoral zu stellen. Nur woran orientiert sie sich? Da ist zunächst die Glaubwürdigkeit, ob die Kirche (insgesamt) oder die handelnden Personen die Botschaft Christi nicht nur vertreten, sondern auch leben. Das heißt auch die Aussagen und Impulse Jesu für die jeweilige Zeit und Situation neu zu interpretieren. Dazu gehören nun mal die Anliegen, Nöte, Erwartungen und Fragen der ganz konkreten Menschen. Dies bedeutet eine nachgehende Pastoral, die die Menschen nicht überfordert und keine Antworten gibt auf Fragen, die nicht gestellt werden, sondern auf die Mentalität, Lebensstile und Glaubenssituationen Rücksicht nimmt. Es muss klar sein, dass unsere Gemeinden genau für jene Menschen Platz haben muss, denen das solidarische Handeln Jesu gegolten hat: Arme, Kranke, Alte, den Sündern, gesellschaftlich Benachteiligten, den Minderheiten und Randgruppen.
Der Pastoraltheologe Ferdinand Klostermann (1907-1982) hat in einem Vortrag 1981 (!) darauf hingewiesen, dass Leistung und Erfolg in der Pastoral so einfach nicht zu messen ist: Wir müssen von einem gewissen nur quantitativen und quantifizierenden Leistungsdenken in der Pastoral abrücken, das mehr auf statistische „Leistungen“, etwa im Sakramentenempfang, aus ist, die sich meist nur bei den ohnehin schon „Bekehrten“ erzielen lassen. Hierher gehört leider fast alles, was die kirchliche Statistik ausweist und auf die manche so stolz sind.
Eine Pastoral an Unterprivilegierten, an Randgruppen, …, an kirchlich distanzierten wird meist wenig statistische Leistungen aufweisen, schon weil hier rasche Erfolge nicht zu erwarten sind und die langfristig eintretenden kaum messbar sind. Solche Pastoral braucht Geduld und Gelassenheit; ihr genügt es Samen zu legen, die vielleicht erst viel später aufgehen, Prozesse einleiten, deren Ablauf nicht mehr in unserem Einflussbereich liegt.
„Der Mensch ist der Weg der Kirche“ titelt der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe (1990). Er ist das Wesen, das hin auf die Wirklichkeit zentriert ist und das Interesse hat sie zu gestalten. Das kommt an Grenzen, wo der Mensch der/dem Anderen begegnet. Was da zwischen beiden gilt ist das Anders-Sein der/des Anderen. Das muss bewahrt werden. Davon schreibt der Philosoph Emmanuel Levinas (1906-1995). Es geht in seinen Augen dafür zu sorgen, dass die/der andere als Andere:r existieren kann. Also: Wir tragen Verantwortung für die/den Andere:n. Diese Verantwortung ist unendlich und kann nicht hintergangen werden. Es gibt keinen Punkt, wo diese Verantwortung begrenzt werden darf. Daher kann wegen der Unendlichkeit, die als Anspruch der Verantwortung für die/den Anderen verspürt wird, ist das Angesicht der/des Anderen der Ort, an dem „der Unendliche“ erahnt werden kann. Es kommt als Spur. Aber in dem Augenblick wo es als Spur wahrgenommen wird, entzieht es sich schon wieder und kann nicht ergriffen werden. Jeder Akt, mit dem der andere Mensch vereinnahmt wird, wäre eine Verletzung des Unendlichen, ja sogar eine Missachtung des Wesen Gottes.
Daher liegt es daran alles zu tun, dass der andere Mensch als die/der Andere leben kann. Das ist für Levinas authentisches Zeugnis vom Unendlichen, vorrangige Art der Verherrlichung Gottes. Nur durch Verzicht auf das Verfügen-Wollen über die/den Anderen wird die Unverfügbarkeit Gottes beachtet. Das heißt also anders ausgedrückt: Jedwede Vereinnahmung von Menschen (auch für die Interessen kirchlicher Instanzen und Funktionsträger) verbietet sich aus theologischen Gründen.
Die Konsequenzen für einen „diakonischen Grundauftrag“ (auch davon ist im Handbuchentwurf die Rede) wären damit:
- Niemand darf ausgeschlossen werden. Aber es gilt der absolute Vorrang gegenüber den notleidenden Menschen.
- Es geht um den anderen Menschen und um dessen Leben in Würde. Solches (diakonisches) Handeln ist Zeugnis von der Unendlichkeit Gottes und wird so zur Verherrlichung.
- Es ist ein theologisches Gebot auf jede Vereinnahmung und Bevormundung zu verzichten! „Die Nähe zum Menschen ist nicht billig zu haben.“ (Herbert Haslinger)
Literatur:
Ferdinand Klostermann, „Messung“ pastoralen Erfolges – pastoraltheologisch, in: Erfolgreiche – nichterfolgreiche Gemeinde. Schriftenreihe der katholischen Akademie Schwerte 1981
Emmanuel Levinas, Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 1989
Herbert Haslinger, Diakonisch Kirche sein. In: Theologisch-praktische Quartalsschrift 4/2021, Linz