Ein neuer Text von Karl A. Immervoll zu seinem Verständnis von “Teilhaben” – in ZeitZeichen 1/2022
Er sitzt in der Ecke der Synagoge, der Mann, beschrieben von Lukas in seinem Evangelium (6,6-11). Abseits, unbeachtet. Seine rechte Hand war verdorrt. ξηρά (xērá) heißt es im griechischen Text – trocken, dürr. Da war also kein „Saft“ mehr in der Hand. Er konnte nicht zupacken, musste hoffen und warten, war angewiesen auf andere, blieb meist unbeachtet.
Es erinnert mich an Mattheo! Als er nach der Pflichtschule zu arbeiten begann, verlangten seine Eltern, dass er auszieht. Zu Hause war der Platz eng, noch drei jüngere Geschwister da und außerdem verdiente er ja Geld. Die Wohnung war bald gefunden. Nun stand er auf eigenen Füßen. Vor allem war es aber eine sturmfreie Bude, die auch fleißig von seinem Freundeskreis – meist in Verbindung mit viel Alkohol – genutzt wurde. Mit der Zeit versäumte er hin und wieder den Arbeitsbeginn am Morgen, schließlich passierte es, dass er gar nicht mehr zur Arbeit kam. Er wurde entlassen, sackte ab.
Oder sitzt dort Gerda? Der Alltag macht ihr zu schaffen: Kinder, Schule, Arbeit, Haushalt und viel allein. Denn der Mann ist bei einer Baufirma beschäftigt und die meiste Zeit auf Montage. Sie sind wegen seiner Arbeit zugezogen, Verwandtschaft gibt es keine, damit auch keine Hilfe. Ohne Tabletten kann sie nicht mehr schlafen.
Oder Harry, gelernter Mechaniker, wirklich Spezialist. Nach einem Arbeitsunfall kann er sein Bein nur mehr kurzfristig belasten. Er ist 57, arbeitslos, doch wer nimmt ihn? Die Werkstätte im Ort holt ihn manchmal, wenn es an älteren Modellen komplizierte Reparaturen gibt. Angestellt wird er dafür nicht mehr.
Oder ist es Said, der Syrer, oder Emin – zwar in Österreich geboren aber für alle anderen noch immer der „Türke“, oder Frida, die 24 Stundenhilfe aus Rumänien, oder gar Otto, Pensionist, der sich von der Politik benachteiligt fühlt und bei jeder Gelegenheit laut über die Ausländer schimpft, denen ja alles geschenkt wird.
Es ist Sabbat. Die Männer in der Synagoge sehen den Mann zwar, aber sie machen keine Anstalten seine Situation zu verändern. Vielmehr warten sie, was Jesus tut. An normalen Tagen ist es ja noch eher erträglich ausgeschlossen zu sein. Da sind alle irgendwie beschäftigt und selbst verbringt man auch irgendwie die Zeit. Aber bei Festen draußen zu sein ist schmerzlich. Wenn der Eintritt nicht möglich ist, Konsumation nicht leistbar, keine passende Kleidung da, eine Einladung sowieso nicht ausgesprochen wird. Das Gefühl nicht dazuzugehören tut weh. Darum geschieht diese Geschichte wohl am Sabbat. Denn all zu leicht könnte gesagt werden, wir kümmern uns am Montag oder Dienstag oder irgendwann drum. Jetzt, am Feiertag, wollen wir nicht gestört werden. Vielleicht sogar im Gottesdienst ein Bettler, eine Zumutung! Jesus sah sie alle der Reihe nach an, erzählt Lukas, und sagt zum Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte. Für den Mann sind das zwei große Veränderungen: Aufstehen, das heißt auf Augenhöhe zu sein. So erst wird ein ernstgemeintes Gespräch, also Begegnung, möglich. Und die Mitte: Sie meint so etwas wie Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Anerkennung. Es bedeutet, hier steht ein Mensch, einer von uns! Und dann fordert Jesus den Mann auf: Streck deine Hand aus! Und siehe da, der Mann war gesund, oder anders gesagt: Er gehörte wieder dazu.
Draußen
Draußen sein
weil
arbeitslos
alt oder doch
zu jung und unerfahren
behindert
krank
in Armut
oder Ausländer
und dann
ist da jemand
reicht die Hand
lächelt
sagt:
Steh auf
komm
in unsere Mitte!