Karl A. Immervoll
Ende des Jahres hatte ich in St. Pölten zu tun. Ich schlenderte durch die Klostergasse, das ehemalige Pastoralamt, verschlossen, leer, ohne Lebenszeichen. Wie oft bin ich durch diese Türe gegangen, wie oft auch ohne einen Termin, einfach hineinschauen, was es denn Neues gibt, mit jemandem Kaffee trinken und Ideen entwickeln? Ich erinnere mich auch an meinen ersten Besuch im Juni 1977: Kurz vor Studienabschluss hatte ich einen Vorstellungstermin beim Direktor des Pastoralamtes, bei Prl. Florian Zimmel. Das kam mir später oftmals in den Sinn, wenn ich die Stiegen des Hautaufganges hinaufstieg. Es war ein Gefühl des Respekts gegenüber all dem, was Menschen, die in diesem Haus tätig waren, in unserer Diözese aufgebaut haben. Die Klostergasse nicht nur Pastoralamt, sie war auch die „Hochburg“ der Katholischen Aktion, ein Vorbild für ganz Österreich.
Eine zweite Erinnerung: Als ich 1983 in der Betriebsseelsorge zu arbeiten begann, war im Waldviertel große Krise: Ein Betrieb nach dem anderen sperrte zu, mehrere tausend Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Die Katholische Aktion gründete einen Grenzlandausschuss, denn das Land lag an der geschlossenen Grenze. Da war der eiserne Vorhang – Endstation aller Verkehrswege, Sackgasse! In diesem Gremium, dass sich damals fast monatlich traf saßen viele wichtigen Personen: Abgeordnete aller Parteien, Ordensleute und Pfarrer, Sonderbeauftragte von Bund und Land, viele Bürgermeister sowie haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter:innen der KA. Ich als Neuling mit dabei. Mein beruflicher Weg wäre ganz anders verlaufen ohne die Hilfestellung und das Wissen, das ich dort erfuhr. Trotz Krise vermittelte Kirche Hoffnung, half Projekte zu gründen, Selbstverwaltungsbetriebe wie die Schuhwerkstatt in Schrems (heute GEA), aber auch Veranstaltungen zu organisieren, Politikergespräche, Öffentlichkeitsarbeit, Gottesdienste, u.a. Aus der Krisenregion wurde Zukunftsland Waldviertel. Kirche war mitten in gesellschaftlichen Vorgängen.
Dritte Erinnerung: Als im Mai 2005 Tschechien der EU betrat, gingen wir zu Fuß gemeinsam über die Grenze, die KAB, Frauen- und Männerbewegung, Jugend. Mit uns der Direktor des Pastoralamtes und Geistliche Assistent der Katholischen Aktion der Diözese Wilfried Kreuth. Es war ein Freudenfest, an dem wir im Grenzort Nová Bytřicé teilnahmen und unsere tschechischen Nachbarn begrüßten.
Die Katholische Aktion der Diözese wurde 1929 von Bischof Michael Memelauer gegründet. Nach dem Krieg kam es 1950 zu einer Neugründung, nachdem 1946 die KJ und ein Jahr später die Jungschar und in weiterer Folge Männer- und Frauenbewegungen entstanden. Sie war Trägerin der Ergebnisse des Konzils. Die Diözesansynode 1972 wäre nicht ohne die KA möglich gewesen. Ihr wirken kann in den Beschlüssen nachgelesen werden. Heute nicht einmal 100 Jahre später – für kirchliche Verhältnisse ein Augenblick – ist die KA in der Diözese Geschichte. Sie wurde ausgelagert, ist ein eigener (kirchlicher – also doch nicht unabhängiger) Verein. In der Sprachregelung der Diözese kann sie sich nun besser entfalten und damit wird die Wertschätzung der Ehrenamtlichen zum Ausdruck gebracht. Das ist purer Zynismus angesichts der Tatsache, dass ihnen Personal und Mittel fast zur Gänze entzogen wurden.
Wie aber ist Kirche heute im Waldviertel? Was sagt sie zu Abwanderung der Jungen, Arbeitslosigkeit, Überalterung? Erhebt sie ihre Stimme zu den Vorgängen in der Region? Mischt sie sich ein? Welche Unterstützungen gibt sie Initiativen? Welche Hilfe kommt von Seite der Diözese?
In der Kirchenzeitung finde ich einen Folder zur Mission Waldviertel, einer Initiative zur Evangelisierung und Glaubensvertiefung, zu unterstützen durch Gebet, Mitarbeit und Spenden. Sehr schön! – und weiter?
Karl Rahner hat schon in den 1970er Jahren eine „Kirche der kleinen Herde“ prophezeit. Aber er hat auch vor einer „kleinhäuslerischen Sektenmentalität“ gewarnt , mit der die Kirche glaubt sich vor dieser Entwicklung schützen zu können. Sie orientiert sich damit an „bequemen Traditionalismus, langweiliger Pseudoorthodoxie“ und damit gesellschaftspolitischer Abstinenz und Hierarchiebestrebungen. Dem wäre eine messianische Kirche gegenüberzustellen, die sich an das „Gerücht“ erinnert, dass am Beginn des Christentums die Auferstehung Jesu stand. Der Tod Jesu wurde nicht als Niederlage interpretiert, sondern als etwas, das neues Leben hervorbrachte. Und dann gibt es auch noch das Dekret über die Laien (Apostolicam actuositatem), dass die Bedeutung der Katholische Aktion hervorhebt , und im November 1965, also genau vor 60 Jahren, von den „Vätern des II. Vatikanischen Konzils“ unterzeichnet wurde. Also Grund genug wieder aufzubrechen!